Zahnersatz in der Privaten Krankenversicherung – Leistungsfreiheit wegen früherer Parodontitisbehandlung?

Im Rahmen der Leistungsprüfung für Zahnersatz kommt es immer häufiger vor, dass der Versicherer den Einwand der Vorvertraglichkeit erhebt, weil der Versicherungsnehmer vor Abschluss des Versicherungsvertrages wegen Parodontitis behandelt wurde. Zu Recht?

Um diese Frage beantworten zu können, sollen zunächst die rechtlichen Grundlagen dargestellt werden. Gemäß § 2 Abs. 1 MB/KK leistet der Versicherer nicht für Versicherungsfälle, die vor Abschluss des Versicherungsvertrages eingetreten sind. Nach wohl überwiegender Auffassung ist diese Klausel als primäre Risikobegrenzung anzusehen, mit der Folge, dass der Versicherungsnehmer darlegen und beweisen muss, dass in dem versicherten Zeitraum ein Versicherungsfall eingetreten ist.

Im Gegensatz zu anderen Versicherungszweigen erstreckt sich der Versicherungsfall in der Privaten Krankenversicherung über einen längeren Zeitraum und lässt sich nicht auf ein punktuelles Ereignis beschränken. Daher spricht man hier vom sog. „gedehnten Versicherungsfall“.

Gemäß § 1 Abs. 2 MB/KK beginnt der Versicherungsfall mit der Heilbehandlung, also mit jeder Tätigkeit, die durch die betroffene Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung des Arztes auf die Heilung oder Linderung der Krankheit abzielt. Die Heilbehandlung beginnt nach der Rechtsprechung bereits mit der ersten Inanspruchnahme einer solchen Tätigkeit, ohne Rücksicht darauf, ob sofort oder erst nach weiteren Untersuchungen eine endgültige und richtige Diagnose gestellt und mit den eigentlichen Heilmaßnahmen begonnen worden ist.

Der Versicherungsfall endet, wenn nach objektivem medizinischen Befund keine Behandlungsbedürftigkeit mehr vorliegt, die Behandlung also als abgeschlossen und nicht nur als unterbrochen anzusehen ist.

Dass die Diagnose und Behandlung der Parodontitis für sich betrachtet einen Versicherungsfall darstellt, ist unbestritten. Ebenso unbestritten ist, dass der Zahnersatz als solcher auch einen Versicherungsfall darstellt.

Viel interessanter ist aber die Frage, ob im Rahmen der Leistungsprüfung bezüglich des Zahnersatzes auf die (frühere) Parodontitisbehandlung abgestellt werden kann und somit der Versicherungsfall „Zahnersatz“ bereits durch die Diagnose Parodontitis begonnen hat, obwohl die eigentliche Parodontitisbehandlung abgeschlossen ist. Zu dieser konkreten Frage ist bislang noch keine gerichtliche Entscheidung veröffentlicht worden, so dass auf vergleichbare Rechtsprechung zurückgegriffen werden muss.

Da eine Parodontitis eine Erkrankung des Zahnhalteapparates ist und damit im schlimmsten Fall zum Zahnverlust führen kann, ist diese Idee auf den ersten Blick gar nicht so abwegig. Da aber in der Vielzahl der Fälle einer rechtzeitig erkannten und behandelten Parodontitis Einhalt geboten kann, ist es angezeigt, diesen Ansatz kritisch zu hinterfragen.

Entscheidende Bedeutung kommt der Frage zu, ob der Versicherungsfall durch die vom Zahnarzt vorgenommene Behandlung endete und der nunmehr erforderlich gewordene Zahnersatz als neuer Versicherungsfall anzusehen ist. Maßgeblich ist insofern, ob die Behandlungsbedürftigkeit nach der letzten Parodontosebehandlung entfallen ist. Dies bemisst sich der Rechtsprechung zufolge nicht nach subjektiven, sondern objektiven Kriterien. Regelmäßig entfällt die Behandlungsbedürftigkeit ab dem Zeitpunkt, ab dem die Fortführung der Behandlung medizinisch nicht mehr notwendig ist. Hierbei muss konsequenterweise derselbe Maßstab angewendet werden, wie bei der Frage, ob bei Beginn einer Heilbehandlung eine medizinische Notwendigkeit bestand.

In vielen Fällen lässt sich diese Frage nur mithilfe eines Sachverständigengutachtens klären; das Zeugnis des behandelnden Arztes ist – prozessual betrachtet – kein geeignetes Beweismittel.

In der Rechtsprechung wird der Schmerz- und Beschwerdefreiheit maßgebliche Bedeutung für das nach objektiven Kriterien zu bestimmende Ende der Behandlungsbedürftigkeit zugemessen (OLG Hamm, R+S 1989, 370). Denn dadurch lässt sich insbesondere in Fällen mit kontinuierlich fortschreitenden Krankheitsprozessen mit abgestuften Behandlungsmaßnahmen ein gerechtes Ergebnis finden. Dies wird anhand eines plastischen Beispiels sehr deutlich: es wäre nur schwer nachvollziehbar, dass die erfolgreiche Verordnung eines Salbenverbands wegen einer verschleißbedingten Knieschwellung am Anfang derselben Behandlung stehen soll, die viele Jahre später mit dem Einsatz eines künstlichen Kniegelenks ihr Ende finden soll (OLG Stuttgart, Urteil vom 07.07.2011, 7 U 27/11).

Fraglich ist zudem, ob nur deswegen auf eine frühere, abgeschlossene Parodontitisbehandlung abgestellt werden kann, weil hierdurch möglicherweise der Zahnhalteapparat geschwächt wurde und die Parodontitis somit als entfernte Ursache des später erforderlich gewordenen Zahnersatzes in Betracht kommen könnte.

Das entscheidende Argument ist § 1 Abs. 2 MB/KK zu entnehmen: eine während der Behandlung neu eingetretene und behandelte Krankheit begründet nur dann einen neuen Versicherungsfall, wenn sie mit der ersten Krankheit in keinem ursächlichen Zusammenhang steht. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein neuer Versicherungsfall stets dann gegeben ist, wenn bei Auftreten der Krankheit die vorherige Behandlung mangels weiterer Behandlung abgeschlossen war. Beim Vorliegen dieser Voraussetzung kommt es dann auf einen etwaigen ursächlichen Zusammenhang mit der früheren Erkrankung nicht an (OLG Hamm, Urteil vom 16.11.1990, 20 U 70/90).

Fazit:
Eine allgemein gültige Antwort ist leider nicht möglich, da stets die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden müssen. Aber nach Auswertung vergleichbarer Rechtsprechung spricht Vieles dafür, dass eine frühere Parodontosehandlung nicht als Beginn des Versicherungsfalls „Zahnersatz“ anzusehen ist.
Sollte sich der Versicherer darauf berufen, dass die Behandlung nicht abgeschlossen, sondern nur unterbrochen gewesen sei, träfe ihn insofern die Beweislast (OLG Hamm, VersR 1977, 953).

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