Leistungsfreiheit in der Kaskoversicherung

Ein Versicherer ist regelmäßig leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer im Rahmen der Schadenanzeige Vorschäden nicht anzeigt. Das Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 11.01.2012, Az. I-20 U 64/11) hatte zu entscheiden, ob dies auch der Fall ist, wenn der Versicherer diesen Vorschaden selbst reguliert hat.

Dem Versicherungsnehmer war sein Pkw gestohlen worden. In der Schadenanzeige hatte der Versicherungsnehmer aber u.a. einen Vorschaden nicht angegeben, so dass sich der Versicherer auf Leistungsfreiheit berief.

Das OLG Hamm führte aus:

„Was die unterlassene Angabe des Vorschadens (Glasschaden nach Steinschlag) angeht, scheidet eine hierauf gestützte Leistungsfreiheit der Beklagten schon deshalb aus, weil sie den entsprechenden Schaden unstreitig selbst reguliert hat. Nach der Rechtsprechung kommt eine Leistungsfreiheit des Versicherers wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit dann nicht in Betracht, wenn der Versicherer (…) den erfragten Umstand positiv kennt (…). Denn der Zweck der Aufklärungsobliegenheit dient dazu, den Versicherer in die Lage zu versetzen, sachgemäße Entschlüsse zu fassen. Fehlt das entsprechende Aufklärungsbedürfnis, weil der Versicherer den maßgeblichen Umstand bereits kennt (hier: weil er den vom Versicherungsnehmer im Schadensformular nicht angegebenen Steinschlagschaden selbst reguliert hat), so verletzen unzulängliche Angaben des Versicherungsnehmers keine schutzwürdigen Interessen des Versicherers und können deshalb die Sanktion der Leistungsfreiheit nicht rechtfertigen. Insbesondere ist es im Fall eines verschwiegenen Vorschadens Sache der innerbetrieblichen Organisation, dass das Wissen des den Vorschaden bearbeitenden Sachbearbeiters auch anderen Sachbearbeitern zugänglich gemacht wird.“

Zwar bestätigte das OLG Hamm, dass die Nichtangabe des Vorschadens als grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung anzusehen sei, allerdings führe diese ebenfalls nicht zur Leistungsfreiheit. Die beklagte Versicherung hatte es nämlich versäumt, im Zuge der VVG-Reform ihre Allgemeinen Versicherungsbedingungen (hier: AKB 2005) auf das neue Recht umzustellen. Daher war die entsprechende Klausel wegen eines Verstoßes gegen geltendes Recht unwirksam.

Denn nach neuem Recht (§ 28 Abs. 2 Satz 2 VVG) darf der Versicherer bei grober Fahrlässigkeit die Leistungen nur in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis kürzen. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine sog. halbzwingende Vorschrift, da hiervon nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden darf. Dies wäre bei Anwendung der AKB 2005 aber der Fall gewesen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zu Schließung dieser Lücke auch nicht die Vorschrift des § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG herangezogen werden.

Soweit der Versicherer sich ergänzend auf Leistungsfreiheit wegen arglistiger Täuschung berief, sah das Gericht eine Arglist des Versicherungsnehmers nichts als bewiesen an und verurteilte den Versicherer zur Leistung.

Quelle: Urteil des OLG Hamm vom 11.01.2012 (Az. I-20 U 64/11)

This entry was posted in Veröffentlichungen. Bookmark the permalink.

Comments are closed.