Herausgabe von Patientenakten an Versicherung – Fortsetzung und Vertiefung

Aufgrund der großen Resonanz haben wir uns entschlossen, einen Teilaspekt des vorherigen Beitrags nochmals aufzugreifen und zu vertiefen, da die Forderungen von Versicherungen auf Herausgabe von Patientenakten zunehmen und auf Seiten der Ärzteschaft Unsicherheit im Umgang mit diesen Anfragen feststellbar ist.

1.) Rechtslage
Einige Versicherer versuchen den Eindruck zu erwecken, dass ihnen aufgrund ihrer Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVBs), die jedem Versicherungsvertrag zugrunde liegen, ein Anspruch auf Überlassung der Behandlungsunterlagen zustehen würde. Doch trifft dies wirklich zu und lässt sich dieses Begehren rechtlich begründen?

a) In vielen Allgemeinen Versicherungsbedingungen findet sich sinngemäß die folgende Formulierung: „Der Versicherer ist zur Leistung nur verpflichtet, wenn die von ihm geforderten Nachweise erbracht sind. Die Aufwendungen sind durch die Urschriften der Rechnungen oder durch Rechnungszweitschriften nachzuweisen.“ Diese Formulierung entspricht im Übrigen auch weitestgehend dem § 6 der Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/KK), sodass für die hiesigen Ausführungen die insoweit ergangene Rechtsprechung ergänzend herangezogen werden kann, auch wenn diese sich nicht explizit mit dem Begehren einer Zahnzusatzversicherung befasst. Wie die Rechtsprechung bereits wiederholt bestätigt hat, folgt aus einer solchen Formulierung gerade keine entsprechende Pflicht des Versicherungsnehmers oder auch des Arztes, die begehrten Krankenunterlagen oder auch nur Kopien zu überlassen, denn bei den hier geforderten „Nachweisen“ handelt es sich ersichtlich nur um Nachweisbelege wie Rechnungen und Bescheinigungen über Krankheit und Arbeitsunfähigkeit. Dies folgt auch daraus, dass Krankenunterlagen des Arztes aus ihrer Natur heraus nicht zur Übereignung an den Versicherer bestimmt und geeignet sind, sondern in dessen Eigentum stehen. Auch wenn die exemplarische Benennung von Rechnungen oder Ähnlichem in einigen Bedingungswerken nicht mehr explizit aufgeführt wird, dürfte auch durch das Weglassen dieser Passage eine Änderung der Rechtslage nicht herbeigeführt werden.

b) Des Weiteren trifft den Versicherungsnehmer nach den üblichen AVBs eine Obliegenheit dahingehend, dass er auf Verlangen des Versicherers jede Auskunft zu erteilen hat, welche zur Feststellung des Versicherungsfalls oder der Leistungspflicht des Versicherers und ihres Umfangs erforderlich ist. Doch auch hierauf lässt sich ein Anspruch auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen in aller Regel nicht stützen. Nicht nur nach dem Wortlaut der AVBs, sondern auch nach der Rechtsprechung der Obergerichte ergibt sich hieraus nämlich gerade kein Anspruch des Versicherers auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen, sondern lediglich auf die Erteilung von Auskünften. Dieses Auskunftsrecht beinhaltet aber nach allgemeiner Ansicht nur die Beantwortung von konkreten Fragen. Da der Versicherer aber zur Beurteilung des Versicherungsfalles häufig auf Informationen des behandelnden Arztes angewiesen ist, ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung aus dieser Auskunftspflicht eine Verpflichtung des Versicherungsnehmers folgt, dem Versicherer bei der Beschaffung der nötigen Informationen behilflich zu sein. Diese Hilfestellung umfasst aber nur die Verpflichtung des Versicherungsnehmers, seine Ärzte zu ermächtigen, direkte Auskünfte an den Versicherer zu erteilen.

Da der Versicherer auf diesem Wege in aller Regel bereits die notwendige Klärung erreichen kann, ließe sich eine weitergehende Verpflichtung des Versicherungsnehmers allenfalls dann in Betracht ziehen, wenn der Versicherer die erforderlichen Auskünfte auf diese Weise nicht oder nicht vollständig erhalten kann und deshalb ausnahmsweise auf die Einsichtnahme in die Krankenunterlagen angewiesen ist. Da der Inhalt der Patientenakte jedoch in den absoluten Intimbereich des Patienten fällt und dieser somit auch vom verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmungsrecht des Patienten geschützt ist, müssen an diese Ausnahmefallgestaltung jedoch sehr hohe Anforderungen gestellt werden. Insofern hat der Versicherer die Pflicht, die Voraussetzungen für das Vorliegen einer solchen Ausnahme darzulegen. Es liegt aber auf der Hand, dass der Versicherer vorher versuchen muss, die von ihm begehrten Informationen durch das Stellen von Fragen zu erlangen. Mit anderen Worten darf der Versicherer nicht von Anfang an die Herausgabe der Patientenakte verlangen.

Insofern bleibt als Zwischenergebnis festzuhalten, dass der Versicherer in aller Regel keinen Anspruch auf Herausgabe der Behandlungsunterlagen hat.

2.) Rechtsfolgen
Insofern stellt sich sowohl aus Sicht des Patienten als auch aus Sicht des behandelnden Arztes die Frage, welche Rechtsfolgen sich aus diesem Zwischenergebnis herleiten lassen.

a) Aus Sicht des Patienten stellt sich angesichts der Tatsache, dass das Auskunftsrecht eine Obliegenheit gemäß Versicherungsvertrag darstellt, die Frage, ob der Versicherer somit bei Verweigerung der Herausgabe der Patientenakte leistungsfrei ist. Grundsätzlich ist nach dem oben Gesagten aber festzuhalten, dass die Verweigerung der Herausgabe der Patientenakte grundsätzlich nicht als Obliegenheitsverletzung zu qualifizieren ist, solange dem Versicherer ermöglicht wird, durch die Beantwortung von Fragen von dem Auskunftsrecht Gebrauch zu machen. Insofern darf der Versicherer auch nicht mit dem Argument, dass der Versicherungsnehmer durch Verweigerung der Herausgabe eine Obliegenheitsverpflichtung begangen habe, die Leistung im Einzelfall verweigern. Anders könnte dies allenfalls dann zu bewerten sein, wenn die Mitwirkungspflichten des Patienten ausnahmsweise so weit gehen, dass der Versicherer, wie oben dargestellt, ausnahmsweise ein Einsichtnahmerecht in die Krankenunterlagen hat. Um leistungsfrei zu sein, muss der Versicherer aber zunächst dem Patienten gegenüber dargelegt haben, aufgrund welchen Sachverhaltes eine Überlassung der Patientenakte zwingend erforderlich ist und ihn ergebnislos zur Beschaffung von Kopien der Krankenunterlagen aufgefordert haben. Insofern ist eine Leistungsfreiheit davon abhängig, dass der Versicherer nur durch Einsichtnahme in die Krankenunterlagen die benötigten Informationen erhalten kann und der Patient trotzdem die Beschaffung von Kopien der Krankenunterlagen verweigert hat. Ob diese beiden Voraussetzungen jeweils vorliegen, sollte zwingend im Einzelfall unter Zugrundelegung der Darlegung des Versicherers geprüft werden.

b) Aus Sicht des behandelnden Zahnarztes ist unbedingt zu beachten, dass die Herausgabe von Krankenunterlagen immer dann eine strafbare und datenschutzrechtlich bedenkliche Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht darstellt, wenn der Patient nicht mit der Herausgabe einverstanden ist. Selbiges könnte für den Fall gelten, dass der Patient lediglich glaubt, aufgrund des Versicherungsvertrages zur Herausgabe an den Versicherer verpflichtet zu sein, was nach dem oben Gesagten jedoch in aller Regel nicht der Fall ist. Unter dieser Voraussetzung könnte es sein, dass die Einwilligung des Patienten, der diesem Rechtsirrtum erlegen ist, nicht wirksam erteilt wurde, mit der Folge, dass der Arzt die Behandlungsunterlagen nicht hätte herausgeben dürfen. Vorausgesetzt, dass der Patient über die Rechtslage ausreichend informiert ist und gleichwohl seine Einwilligungserklärung abgibt, wird diesem aber die Heraus- bzw. Weitergabe der Kopien der Behandlungsunterlagen an den Versicherer schlicht nicht verboten werden können.

3.) Insofern ergeben sich für die Praxis folgende Empfehlungen:

a) Sollten Sie von einem Versicherer zur Herausgabe der Patientenakten aufgefordert werden, sollten Sie diesem Begehren nicht übereilt nachkommen. Hier bietet es sich an, den Versicherer darauf hinzuweisen, dass ihm ein solcher Anspruch nicht zusteht.

b) In jedem Fall sollten Sie aber die ggf. vom Versicherer an Sie herangetragenen Fragen sorgfältig und im gebotenen Umfang beantworten; überprüfen Sie aber, ob eine ausreichend präzise Schweigepflichtsentbindung vorliegt.

c) Sie sollten sich bei Ihrem Patienten versichern, ob dieser mit der Herausgabe der Behandlungsunterlagen einverstanden ist. Dabei sollten Sie diesen aber kritisch dahingehend beraten, dass ein solcher Anspruch des Versicherers in aller Regel nicht existent ist und den Patienten auch ergänzend dahingehend beraten, dass die unbedachte Herausgabe der vollständigen Behandlungsunterlagen (bzw. der Kopien) auch dazu führen könnte, dass der Versicherer deswegen leistungsfrei wird, wenn beispielsweise ein nunmehr behandelter Zahn aufgrund einer Vorschädigung von dem Leistungsumfang ausgeschlossen ist.

d) Erst wenn der Patient im Einzelfall nach Erhalt dieser Informationen gleichwohl ausdrücklich die Übersendung der Behandlungsunterlagen wünscht, sollten Sie dem Begehren des Versicherers nachkommen.

e) Sollte der Patient unmittelbar an Sie herantreten, sind Sie verpflichtet, ihm (kostenpflichtige) Kopien der Behandlungsunterlagen zur Verfügung zu stellen. Dies gilt auch dann, wenn Sie wissen, dass er diese an den Versicherer weiterreichen wird.

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