Berufsausübungsgemeinschaft – Honorarregress bei Scheingesellschaft und Gestaltungsmissbrauch

Ein Regress ist eine der größten Gefahren für den Arzt, gleichgültig ob er allein oder gemeinschaftlich an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt. Da ein Honorarregress häufig existenzbedrohend ist, ist hier besondere Aufmerksamkeit gefordert. Dieser Beitrag soll die Aufmerksamkeit auf ein neues Urteil des Bundessozialgerichts lenken.

Mit Urteil vom 23.06.2010 hat das Bundessozialgericht eine wegweisende Entscheidung getroffen, wonach ein Honorarregress gegenüber dem / den Gesellschafter(n) einer Gemeinschaftspraxis rechtmäßig ist, wenn ein sog. Missbrauch der Gestaltung von Kooperationsformen vorliegt. Dieses Urteil entfaltet seine Rechtskraft vor allem bei sog. Scheingesellschaften oder sog. Nullbeteiligungsgesellschaften. Dabei betrifft es aber keineswegs nur Gesellschaftsverträge, die nach Verkündung dieses Urteils abgeschlossen werden, sondern vielmehr auch und vor allem Altverträge. Diese sind zwingend auf vergleichbare Regelungen hin zu prüfen und ggf. anzupassen.

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall hatte eine bestehende Berufsausübungsgemeinschaft einen Junior in die Praxis aufgenommen, der zunächst als freier Mitarbeiter tätig sein und ein Festgehalt bekommen sollte. Es war vertraglich geregelt, dass nach Ablauf einer Erprobungsphase der Junior partnerschaftlich eingebunden werden sollte. Dies geschah allerdings nie.
Gleichwohl gerierte sich die Gesellschaft einschließlich des Juniors nach Außen als Gemeinschaftspraxis und rechnete die erbrachten vertragsärztlichen Leistungen in dieser Weise gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung ab. Im Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung wurde das Honorar für die zurückliegenden 18 Quartale neu errechnet und ein Regress in Höhe von ca. 900.000,00 € festgesetzt. Das Bundessozialgericht bestätigte die Richtigkeit des Regresses, da der Junior tatsächlich angestellter Arzt oder zumindest weiter freier Mitarbeiter gewesen sei und die Kooperation somit nicht den rechtlichen Vorgaben bzgl. der Gemeinschaftspraxis entsprach.

Das Bundessozialgericht stützte seine Entscheidung vornehmlich darauf, dass der Junior nicht in freier Praxis tätig war, wie es § 32 Abs. 1 Ärzte-ZV verlangt. Tatsächlich lag nach Ansicht des Bundessozialgerichts eine verdeckte Anstellung vor.

Eine Abrechnung ist nach der Rechtsprechung dann falsch und rechtfertigt einen Regress, wenn die vertragsärztliche Tätigkeit, in deren Rahmen die Leistungen erbracht worden sind, nicht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der vertragsärztlichen Versorgung ausgeübt wurde. Dies gilt auch für den Fall der Leistungserbringung durch eine nur formal bestehende Gemeinschaftspraxis, so dass von einem Missbrauch der vertragsärztlichen Kooperationsformen ausgegangen werden kann.

Entscheidend war für das Gericht, dass der Junior nicht über die erforderliche berufliche Handlungsfreiheit verfügte, die für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit in freier Praxis erforderlich gewesen wäre. Er habe zudem kein wirtschaftliches Risiko getragen und sei auch nicht am Wert der Praxis beteiligt gewesen. Denn der Junior erhielt für die gesamte Dauer seiner Tätigkeit ein Festgehalt und war vertraglich verpflichtet, im Falle seines Ausscheidens seinen Anteil am Praxiswert unentgeltlich auf die Gemeinschaftspraxis zu übertragen. Dem Vertragsarzt muss aber maßgeblich der Ertrag seiner vertragsärztlichen Tätigkeit zugute kommen, ebenso wie ein eventueller Verlust zu seinen Lasten gehen muss.

Zu beachten ist, dass dieses Erfordernis nach Ansicht des Bundessozialgerichts von Anbeginn der vertragsärztlichen Tätigkeit erfüllt sein muss und kann nicht für die Dauer einer „Probezeit“ suspendiert werden.

Eine sog. „Null-Beteiligungs-Gesellschaft“, d.h. eine Gesellschaft, an deren Gesellschaftsvermögen nicht jeder Partner substanziell beteiligt ist, spricht nicht zwingend für einen Gestaltungsmissbrauch. Dieser Aspekt kann allerdings dann Bedeutung erlangen, wenn das einkommensbezogene Kriterium der Tragung des wirtschaftlichen Risikos keine eindeutige Aussage erlaubt.

Auch wenn das Gericht nicht entscheidend darauf abstellte, monierte es zusätzlich, dass der Junior keine tatsächlichen Mitwirkungsmöglichkeiten an zentralen Entscheidungen betreffend die Gesellschaft hatte, da er nicht an den regelmäßigen Gesellschafterversammlungen teilnahm.

Insofern kann zur Vermeidung existenzbedrohender Regresse für die Praxis nur die Empfehlung ausgesprochen werden, dass in einer wie vorliegend behandelten Konstellation die Verträge daraufhin überprüft werden sollten, ob sie den strengen Anforderungen des Bundessozialgerichts gerecht werden. Dabei sollten dem Juniorpartner sowohl nach dem Gesellschaftsvertrag als auch nach den tatsächlichen Gegebenheiten mindestens die folgenden Rechte zustehen, um eine Tätigkeit in freier Praxis darzustellen und den Anschein eines verdeckten Anstellungsverhältnisses zu vermeiden:

  • Teilhabe an Gewinn und Verlust
  • Verwertung des selbst erarbeiteten, immateriellen Praxiswertes / Goodwill, wobei hier gewisse Einschränkungen zulässig sind
    ausreichende berufliche und persönliche Handlungsfreiheit
  • stimmberechtigte Teilnahme an Gesellschafterversammlungen.
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