Die ärztliche Schweigeplicht

Der Eid des Hippokrates ist jedem Arzt im Wortlaut bekannt, kritisch hinterfragt wird dieser häufig jedoch nicht. Rechtsanwalt Henning Doth klärt aus juristischer Sicht über praktische Aspekte und Risiken auf.

1. Rechtsgrundlagen
Der Eid des Hippokrates ist, so wertvoll er historisch sein mag, aus juristischer Sicht nicht in der Lage, dem Arzt rechtswirksam eine Pflicht aufzuerlegen, sondern allenfalls moralisch oder berufsethisch. Gleichwohl hat dieses Grundprinzip, welches selbstverständlich und richtigerweise nach wie vor Geltung für sich beansprucht, schon zahlreiche gesetzliche Normierungen gefunden, allen voran das in Art. 1 und 2 des Grundgesetzes verankerte Grundrecht des Patienten auf Achtung der Intimsphäre. Daneben regelt aber auch § 203 des Strafgesetzbuchs (StGB) die Schweigepflicht des Arztes; eine weitere Regelung findet sich in § 9 der Musterberufsordnung (MBO). Letztlich folgt die Schweigepflicht aber auch als sog. Nebenpflicht aus dem zwischen dem Arzt und dem Patienten geschlossenen Behandlungsvertrag.

2. Zur Verschwiegenheit verpflichteter Personenkreis
Das der Arzt selbst der (ärztlichen) Schweigepflicht unterliegt ist klar und bedarf keiner besonderen Erwähnung. Darüber hinaus ist aber auch das sog. Nicht-ärztliche Hilfspersonal, also Arzthelferinnen, MTAs, Logopäden, Auszubildende etc. in gleicher Weise zur Verschwiegenheit verpflichtet. Da der Arzt aber grundsätzlich für das Verschulden seiner Angestellten (Erfüllungsgehilfen i.S.d. § 278 BGB) haftet wie für eigenes Verschulden, sollten diese Personen unbedingt zur Einhaltung der Schweigepflicht angehalten und sorgfältig ausgewählt werden, um sich so notfalls exkulpieren zu können. Ein Regress wird in aller Regel an arbeitsrechtlichen Vorgaben scheitern.

3. Umfang der Schweigepflicht
Selbstredend erstreckt sich die Schweigepflicht auf sämtliche Informationen hinsichtlich der Krankheiten des Patienten, die der Arzt im Rahmen der Behandlung erfährt. Darüber hinaus ist der Arzt aber auch bezüglich aller anderen Informationen zur Verschwiegenheit verpflichtet, die ihm anlässlich der Behandlung zur Kenntnis gelangen, selbst wenn es sich dabei nicht um Krankheiten handelt. Dabei ist es gänzlich unerheblich, ob es sich dabei um Informationen bezüglich des Patienten selbst oder bezüglich eines Dritten handelt, der sich nicht in Behandlung dieses Arztes befindet.

In diesem Sinne kann es sich also beispielsweise um finanzielle Probleme des Patienten handeln oder auch um die Identität von Dritten. Besonders schwierig gestalten sich in der Praxis häufig Fälle von minderjährigen Patienten, wo sich im Einzelfall die Frage zu stellen ist, ob und inwieweit der Arzt hier berechtigt ist, die Situation mit den Eltern zu erörtern.
Ebenso sensibel, insbesondere in Bezug auf die Identität Dritter, ist es, wenn der Arzt eine HIV-Infektion eines Patienten feststellt und dadurch Rückschlüsse auf die Erkrankung oder das Infektionsrisiko des jeweiligen Partners gezogen werden können. Häufig wird übersehen, dass es sich bei AIDS nicht um eine meldepflichtige Krankheit handelt, so dass hierüber kein Ausweg gefunden werden kann, sondern allenfalls vor dem Hintergrund eines strafrechtlichen Notstandes.

Es gilt unbedingt zu beachten, dass die Schweigepflicht auch über den Tod des Patienten hinaus gilt, da nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein sog. postmortales Persönlichkeitsrecht des Patienten besteht und beachtet werden muss.

Ferner ist zu beachten, dass die Schweigepflicht auch – mit Ausnahme des Konsils – auch unter Arztkollegen gilt. Dies bedeutet, dass bei einem Austausch über einen konkreten Fall oder Patienten der Sachverhalt nur so allgemein gehalten wiedergegeben werden darf, dass Rückschlüsse auf die Person oder die Identität des Patienten oder Dritten nicht möglich sind.

Auch im Rahmen einer etwaigen Praxisübergabe ist die Schweigepflicht zu beachten. Es gilt das sog. „Zwei-Schränke-Prinzip“, welches ein einfachen „Verkaufen“ des Patientenstamms verhindern soll. Danach wird von dem ausscheidenden Arzt und dem Praxisübernehmer verlangt, dass die Patientenakten zunächst in zwei separaten Schränken verwahrt werden, und zwar so lange, bis der einzelne Patient eingewilligt hat, von dem neuen Arzt weiterbehandelt zu werden. Erst dann darf die entsprechende Patientenakte aus dem verschlossenen Schrank, zu dem auch nur der ausscheidende Arzt und dessen Personal Zugriff haben darf, herausgenommen und in den anderen Schrank des Praxisübernehmers umgehängt werden.

Letztlich ist auch vor der Weitergabe von Patientendaten an eine Verrechnungsstelle die Zustimmung des Patienten erforderlich. Insoweit kann nur geraten werden, den Patienten beim Erstbesuch einen der weit verbreiteten Fragebögen ausfüllen zu lassen, worin er auch das Einverständnis für die Weitergabe erklärt.

4. Sanktionen der Verletzung
Neben berufsrechtlichen Sanktionen, die hier wegen der sekundären Bedeutung nicht weiter vertieft werden sollen, sollte beachtet werden, dass die Verletzung der Schweigepflicht gemäß § 203 StGB strafrechtlich sanktioniert werden kann, indem dem Arzt zu einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder zu einer Geldstrafe verurteilt werden kann. Sollte sich gar herausstellen, dass der beschuldigte Arzt mit Bereicherungsabsicht gehandelt hat, läge das mögliche Strafmaß sogar bei zwei Jahren Freiheitsstrafe. Darüber hinaus kann natürlich jede Pflichtverletzung gegenüber dem Patienten oder Dritten zu einem Schadensersatzanspruch führen, wenn diesem durch die Verletzung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist. Darüber hinaus könnte der Patient den Arzt im Falle einer Wiederholungsgefahr zusätzlich auf Unterlassung verklagen.

5. Grenzen der Schweigepflicht
Die Schweigepflicht findet Ihre Grenze selbstverständlich, wenn der Arzt von der Schweigepflicht entbunden wurde. Darüber hinaus kann die Schweigepflicht zurückstehen, wenn die Informationen der Aufklärung bestimmter, besonders schwerer Straftaten dienen. Beispielhaft seien Straftaten erwähnt, die im weitesten Sinne mit terroristischen Handlungen verknüpft sind, praktisch relevanter dürften aber wohl eher Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sein. In diesen Fällen kann die Verletzung der Schweigepflicht vor dem Hintergrund des Notstandes gerechtfertigt oder entschuldigt sein.

6. Prozessuales
Aber trotz allem Vorgesagten sind auch positive Aspekte der Schweigepflicht vorhanden, die den Arzt – vornehmlich in prozessualer Hinsicht – davor schützen und bewahren sollen, gewissermaßen in eine Zwickmühle dergestalt zu geraten, dass er vor Gerichten und Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich vollständige und wahrheitsgemäße Angaben machen soll, auf der anderen Seite aber zur Verschwiegenheit verpflichtet ist und vor dem Hintergrund der oben geschilderten Haftungsrisikos eher keine Angaben möchte.

Um diese Zwickmühle zu vermeiden, hat der Gesetzgeber dem Arzt sowohl ein straf- als auch ein zivilprozessuales Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt. Im Kern bedeutet dies, dass der Arzt danach so lange berechtigt ist, Angaben zu verweigern, bis der Patient ihn ausdrücklich von der Schweigepflicht entbunden hat.

Ebenso führt die Schweigepflicht dazu, dass Behandlungsunterlagen grundsätzlich nicht von der Polizei oder der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt werden dürfen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt aber dann, wenn der Arzt selbst unter dem Verdacht steht, an einer strafbaren Handlung beteiligt gewesen zu sein. Aber auch dann dürfen die Behandlungsunterlagen nur dann beschlagnahmt werden, wenn eine Aufklärung durch andere Beweismittel nicht möglich ist.

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