Abfindung in Gemeinschaftspraxen – Berücksichtigung des Goodwill

Die Gründung einer Berufsausübungsgemeinschaft / Gemeinschaftspraxis bzw. die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit in einer Gemeinschaftspraxis bietet zahlreiche Vorteile gegenüber einer Einzelpraxis. Aus diesem Grund werden jedes Jahr zahllose Gemeinschaftspraxen gegründet oder verändert, beispielsweise durch die Hinzunahme eines weiteren Gemeinschaftspraxispartners.

Aber ebenso häufig scheiden Gesellschafter aus einer Gemeinschaftspraxis aus bzw. selbige wird gänzlich aufgelöst.

In Deutschland wird nach wie vor der weit überwiegende Teil der Gemeinschaftspraxen in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) betrieben. Wenn eine solche GbR auseinandergesetzt wird, ist fast immer die Erstellung einer Auseinandersetzungsbilanz erforderlich, um somit den Praxiswert und die Abfindung für den ausscheidenden Gesellschafter zu ermitteln. Spätestens hier kommt es regelmäßig zum Streit der Parteien. Aber: Grundsätzlich hat jeder ausscheidende Gesellschafter einen Anspruch gegen die übrigen Gesellschafter auf Mitwirkung bei der Erstellung der Auseinandersetzungsbilanz, der notfalls eingeklagt werden kann/muss.

Dabei spielen insbesondere zwei Problempunkte häufig eine Rolle, die nachfolgend näher beleuchtet werden sollen:

1.
Die Parteien streiten sich häufig schon darum, ob überhaupt der Goodwill, im Wesentlichen also der Patientenstamm, bei der Erstellung der Auseinandersetzungsbilanz einzustellen ist. Diese Frage ist aber im Grundsatz seit Langem von der Rechtsprechung entschieden.

Ist im Gesellschaftsvertrag eine Ausgleichspflicht nicht nur hinsichtlich des materiellen Gesellschaftsvermögens, sondern auch der immateriellen Werte vereinbart und kann auch nicht aus anderen Umständen der gesellschaftsvertragliche Wille der Parteien auf einen Ausschluss des Ausgleichs des Goodwill entnommen werden, gelten grundsätzlich die §§ 731ff., 736 BGB, denen zufolge sich die Auseinandersetzung auf das Vermögen der Gesellschaft schlechthin zu erstrecken hat (OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.01.2004), mithin mit Berücksichtigung des Goodwill.

Mit anderen Worten: maßgeblich ist zunächst der Inhalt des Gesellschaftsvertrages und/oder der Wille der Parteien bei Vertragsschluss, sofern dieser beweisbar ist. Sofern keine entsprechende vertragliche Regelung getroffen wurde, gilt das Vorgesagte.

Ebenso stellte bereits das OLG Hamm (Urteil vom 20.01.1999) fest, dass im Falle der Auflösung einer GbR der Kundenstamm einer Gesellschaft in die Auseinandersetzungsrechnung aufzunehmen ist. Denn der Patientenstamm verkörpert einen wirtschaftlichen Wert, der im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in die Auseinandersetzungsbilanz einzustellen ist. Diese besagt, dass im Falle der Auflösung einer Gesellschaft jeder Gesellschafter einen Anspruch auf Durchführung der Auseinandersetzung hat, der die Feststellung des Reinvermögens der Gesellschaft beinhaltet, sich also nicht an steuerlichen Gesichtspunkten, sondern an realen Marktwerten orientiert (BGH NJW-RR 1995, 1882; NJW 1995, 1551).

Für den Patientenstamm einer Gemeinschaftspraxis gilt also nichts Anderes, sofern der Ausgleich des Goodwill nicht gesellschaftsvertraglich ausgeschlossen wurde.

2.
Da der erste Streitpunkt somit klar entschieden ist, wird nicht selten auf der nächsten Stufe argumentiert, dass zwar grundsätzlich der Goodwill zu berücksichtigen sei, im konkreten Einzelfall allerdings Besonderheiten zu berücksichtigen wären, die diesen Grundsatz wieder außer Kraft setzten.

Begründet wird dies sodann damit, dass der ausscheidende Gesellschafter „seine“ Patienten mitnähme oder zumindest mitnehmen könnte und es somit nicht gerechtfertigt sei, dass er für den Goodwill insoweit zusätzlich eine Abfindung erhalte.

Aber steht die „Mitnahme“ von Patienten oder auch schon die bloße Möglichkeit der Mitnahme ganz oder teilweise dem grundsätzlich geschuldeten Ausgleich entgegen?

Ob und inwieweit diese Ansicht durchgreift, ist von vielen Faktoren abhängig, insbesondere erneut von den Regelungen im Gesellschaftsvertrag. Findet sich hier eine eindeutige Regelung, richtet sich die Rechtsfolge in der Regel hiernach. Enthält der Vertrag hingegen keine solche Regelung, ist der Vertrag ggf. auszulegen.

Kriterium einer solchen Auslegung ist häufig ein gesellschaftsvertraglich festgelegtes Wettbewerbsverbot, wonach dem ausscheidenden Gesellschafter untersagt ist, sich nach seinem Ausscheiden in einem festgelegten Umkreis erneut niederzulassen. Hieraus lassen sich ggf. Rückschlüsse ziehen, ob die Parteien mit einer gewissen Mitnahme(-möglichkeit) von Patienten gerechnet haben oder ob diese ggf. aufgrund einer nur sehr geringen räumlichen Sperre nahezu unausweichlich war.

Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, bei der die Parteien bewusst den „Mitnahme“-Vorteil des Ausscheidenden in Kauf genommen haben, ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs grundsätzlich in den Grenzen des § 138 BGB (sittenwidriges Rechtsgeschäft) möglich (Beschluss vom 14.06.2010).

Auf der anderen Seite ist aber ggf. zu berücksichtigen, ob für den oder die verbleibenden Gesellschafter, die Möglichkeit besteht, bisherige Patienten zu binden. Um auf diese Weise die tatsächliche Mitnahme von Patienten als Ausgleich des Goodwills ansehen zu wollen, ist aber erforderlich, dass der verbleibende Gesellschafter eine vergleichbare medizinisch-wirtschaftliche Kompetenz innehat, was bei interdisziplinären Gemeinschaftspraxen regelmäßig nicht der Fall ist.

Fazit:
Da im Zusammenhang mit dem Ein- und Austritt aus einer Gemeinschaftspraxis erhebliche Probleme entstehen können, ist eine frühzeitige anwaltliche Beratung nicht erst beim Ausscheiden selbstverständlich und empfehlenswert, sondern erst Recht bei der Gründung der Gemeinschaftspraxis und der entsprechenden Vertragsgestaltung, da hier bereits die relevanten Weichen gestellt werden.

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